Inlineskaten blinder und sehbehinderter Menschen
Inlineskaten mit Blinden in Nürnberg am Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte

Blinder InlineskaterInlineskaten - ein Trendsport - nicht für Sehbehinderte und Blinde?

Vor mehr als 10 Jahren lebte bei uns ein Schüler, der auf Inlineskates von der Wendeschleife zur Pforte und zurück „raste“. Wir hielten ihn alle für etwas „durchgeknallt“, zumal er sich bei einer Fahrt auch ziemlich verletzte. Als er entlassen war, dachte keiner mehr an diese „verrückte“ Freizeitbeschäftigung.

Im Jahr 1997 probierte ich dann selbst diese Freizeitbeschäftigung aus und fand sie äußerst positiv. Wir hatten zu dieser Zeit einige Schüler die durch zerstörerisches Verhalten auffielen. Mit einem interessanten Fun-Angebot hoffte ich eine Freizeitbeschäftigung anbieten zu können, die von anderem „Unfug“ abhalten kann. Wer sich eine Stunde mit Inlineskating ausgepowert hat, hat es nicht mehr nötig seine Kräfte an Inventar und anderen Personen auslassen zu müssen.

Die Wendeschleife der Schulbusse zwischen dem Internat und der Schule sollte dann zum Inlineskaten und Rollschuhfahren frei gegeben wurde. Da hörte ich viele Stimmen gegen das Projekt. In Konferenzen wurden Bedenken wegen der Sicherheit der Fahrer und insbesondere der Blinden vorgebracht. Niemand ging davon aus, dass Inlineskaten auch ein Sport für Blinde sein könnte.

Die Frage war: "Wo können wir in der Blindi skaten?"

Die Wendeschleife erwies sich nicht als geeigneter Platz. Sie ist einerseits zu sehr auf dem Präsentierteller und andererseits ist der Belag viel zu rau. Die Autofahrer ließen uns trotz eines Hinweisschildes nicht in Ruhe und stellten eine Gefährdung dar.

Am Dutzendteich und auf der "Großen Straße" boten sich im Sommer Fahrmöglichkeiten. Aber wo sollten wir im Winter hin?

Im Keller des Internates wurde dann eine tolle Bahn entdeckt. Vielleicht hat sich der Architekt etwas gedacht, als er die langen glatten Kellerflure konstruierte. Jedenfalls war ich begeistert, als ich in den Ferien die Kellerflure heimlich auf Skattauglichkeit testete. Von der Vorschule bis zur Blindenbücherei sind es ca. 90 m. Zum Teil mit einem Gefälle von fast 10%. Bei diesem Gefälle kann man ohne Anstoß bis zum Küchenflur rollen und mit kräftiger zusätzlicher Beinarbeit bekommt man für die gesamte Bahn Schwung. Nur im Küchenflur muss man 2 mal die Kurve kratzen, sonst bremst die Wand. Fahrer über 1,85 m mit Helm müssen jedoch den Kopf einziehen, sonst bleiben sie an der etwas niedrigeren Tür zwischen Internat und Vorschulgang hängen. Am Türrahmen wurden vom Hausmeister, Herrn Wiedemann, zusätzliche Schrägen angebracht, so dass man auch bei Spuränderung nicht am Türrahmen schmerzhaft hängen bleibt.

Im Kellerflur des Internates können auch Blinde mit dem Motto "Immer an der Wand entlang" problemlos skaten und dabei auch ganz schön schnell werden. Wie können nun Blinde das tolle Tempogefühl beim Abfahrtslauf erleben, das durch die engen Flure und den entstehenden Wind erzeugt wird?

Als Martha (vollblind) auch mal am "Berg" fahren wollte, hatte ich zunächst Bedenken. Dann dachte ich mit 2 m am Gefälle kommt man in Fahrt, ohne dass viel passieren kann. Als dies problemlos klappte wurde die Strecke verlängert: hochfahren, stoppen, drehen um 180 Grad, mit den Fingerspitzen die beiden Wände berühren und sich parallel zur Wand ausrichten, Gegenkontrolle, dass die Ausrichtung passt, in die Knie gehen und abfahren. Während der Abfahrt gab ich bei Bedarf Kurskorrekturen: "leicht links", "leicht rechts". Martha führte sie durch Drehen des Oberkörpers sanft aus.

Nun, Martha hat es geschafft. Sie rollte die Abfahrt von der Vorschule bis zur Küche hinun ter, immer in der Mitte des Flures, nur ab und zu durch Korrekturkommandos gelenkt.

Im Sommer macht aber das Skaten an der "Großen Straße" und am Dutzendteich mehr Spaß. Die "Große Straße" ist ein Parkplatz von ca. 30 m Breite und 500 m Länge mit schönem glatten Betonboden. Hier kann man herrlich skaten, wenn nicht gerade eine Großveranstaltung im Messegelände, Stadion oder Volksfestplatz stattfindet. In "freier" Fahrt, nur begleitet durch Korrekturkommandos, gleitet die vollblinde Martha mit einer Geschwindigkeit von ca. 15 km pro Stunde über die Betonpiste. Auf das Kommando "Stop" legt sie einen gekonnten Heelstop (Stop mit der Fersenbremse) hin, der manchen Freizeitskater am Dutzendteich vor Neid erblassen lässt.

Jeden Mittwochabend geht es im Blauen Saal heiß her. Der Bodenbelag des Blauen Saales ist weder zum Tanzen noch zum Skaten besonders geeignet, aber wir machen das Beste daraus.

Der Hausmeister hat uns schöne Rampen nach einer Bauanleitung aus dem Internet gebaut. Neben Skaten nach fetziger Musik in der Runde des Blauen Saales springen die Könner über die Rampe, auf die Rampe, in die Höhe und weit, mit und ohne Drehung. Für die Anfänger gibt es kleinere Rampen, so dass sich jeder nach Belieben im Können steigern kann.

Aber nicht nur für die Könner ist Inlineskaten der geeignet Sport. Auch die Nichtgeübten haben Erfolgserlebnisse und Spaß. Kleine spastische Probleme und Gleichgewichtsschwierigkeiten sind ebenfalls kein Hindernis. Sie werden durch das Skaten optimal therapeutisch behandelt.

Inzwischen hat sich das Inlineskaten als eine beliebte Sportmöglichkeit auch für die Blinden bei uns entwickelt.

Inzwischen skaten 2/3 unserer Schüler in unseren regelmäßigen Übungsstunden und auch außerhalb mit Erziehern oder zu Hause mit Freunden. Wie konnte sich diese große Zahl von Freizeitskatern entwickeln? Durch unseren Inlineskatebasar kann sich jeder günstige Ausrüstung leihweise und auch käuflich besorgen. Um das Skaten zu lernen, muss nicht erst teure Ausrüstung beschafft werden. Wenn ein blinder Schüler zu den Eltern sagt, dass er/sie das Inlineskaten lernen will, wird eher davon abgeraten und sicher keine Ausrüstung gekauft. Wenn er/sie es dann kann ist der Weg zur eigenen besseren Ausrüstung dann nicht mehr weit. Der Inlinerbasar bietet auch die Möglichkeit, dass zu klein gewordenen Ausrüstung kostenlos gegen eine größere passende ausgetauscht werden kann. Die Ausrüstung des Inlinerbasars wurde zum Teil aus Spenden und zum Teil durch günstigen Aufkauf gebrauchter Ausrüstung aufgebaut. Eine Geldspritze ist dringend erforderlich, da viele Skates und Ausrüstung veraltet, verschlissen und kaum mehr zu gebrauchen sind.

Unsere Besonderheiten im Jahresablauf sind unsere Inlinerfreizeiten und die Teilnahme am capp-Sport-cup, die immer wieder zu neuen Anstrengungen anregen.

Im August 2003 erlebten wir eine tolle Inlinerfreizeit am Bodenseee. Hier zum.ausführlichen Bericht über diese Freizeit.

Der Abschluss unserer Inlineraktivitäten im Jahr 2003 war dann die Teilnahme am c-S-c in Langefeld bei Düsseldorf am letzten Ferienwochenende. Der capp-Sport-cup ist eine Veranstaltung der E&B Weik-Stiftung, an der behinderte und nichtbehinderte Sportler gemeinsam auf Inlineskates, Handbikes und Tandems um sportliche Erfolge ringen. In den letzten 3 Jahren haben wir in München als größte Gruppe jeweils mit 20 unserer Schüler teilgenommen. Nach Langenfeld führen Kevin (sehbehindert), Steffi (blind mit Sehrest) und Tanja (vollblind) mit. Kevin und Steffi haben in ihrer Altersgruppe von sehenden Inlineskatern jeweils den ersten Platz belegt. Tanja unter Führung von mir hat den 2 Platz belegt und war nur 2 Minuten langsamer als die Erstplazierte ihrer Altersgruppe. Sie schaffte 17 km in 52 Minuten. Lächelnd sauste sie so mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km / Stunde über den Asphalt. Herr Weik bescheinigte ihr, dass noch eine Menge Potenzial für größere Leistungen vorhanden ist und die Zeit kommen wird, wo sie mich als Begleitläufer antreibt und an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit führt. Damit dies nicht so schnell passiert, trainiere ich weiter im Speedteam des 1. FCN Roll- und Eissport e.V.

Auf unserem Gelände hatten wir Platz für viele Sportmöglichkeiten, jedoch keine geeigneter Platz zum Inlineskaten. Der „Hartplatz“ ist durch den Kunststoffbelag so weich, dass er nicht für Rollsport geeignet ist. Wir hoffen dringend darauf, dass hier ein für den Rollsport geeigneter Platz geschaffen wird, an dem unsere blinden Skater gefahrlos fahren können und auf dem auch Spiele auf Inlineskates (Fußball, Hockey, Basketball usw). möglich sein werden. Ballspielen auf Skates ist eine besondere Herausforderung an das Gleichgewicht und die Koordinationsfähigkeit und unsere Inlinehockeygruppe braucht unbedingt einen Übungsplatz, da der Kellervorraum vor der Blindenbücher dafür doch zu eng ist. Eine paar Rampen würden dann weiter Anreiz zu neuen Anforderungen bieten.

Im Sommer/Herbst 2007 war es soweit. Wir bekamen unseren Inlinerplatz mit einer Größe von 15 m * 40 m. Die NWW baute ihre Werkstattcontainer ab und auf dem Platz mit bestem Untergrund wurde statt der Renaturierung ein Rollsportplatz angelegt.

Im September 2008 ging ich in Rente und stellte meine Tätigkeit im Bildungszentrum für Blinde und Sehbehindert Nürnberg ein. Als Übungsleiter bin ich weiterhin für die blinden und sehbehinderten Sportler im 1. FCN Roll- und Eissport e.V. tätig und kann die Trainingsmöglichkieten im bbs nürnberg (früher Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte oder Blindenanstalt) weiterhin nutzen.

Volker Springhart


DM Kerpen 2012 Oberschleißheim 2013 bbs Nürnberg 2013 Hallertau 2013 Forchheim 2013

 
Diese Webseite wird nicht mehr gepflegt und dient nur der historischen Information aus der alten Webseite.

 

Diese Seite wird hobbymäßig betrieben, weitere Anregungen nehme ich gerne entgegen.
Auf den Inhalt der angegebenen Links habe ich keinen Einfluss und distanziere mich daher.
Für die angegebenen Webseiten sind die Betreiber selbst verantwortlich!
Sollte jemand mit einer Veröffentlichung nicht einverstanden sein oder
seine Rechte nicht beachtet worden sein, genügt eine kurze Mitteilung zur Korrektur.
Alle Angaben nach bestem Wissen jedoch ohne jegliche Gewähr!

Impressum